Eröffnung: Fr. 11.12.2015 – 19 Uhr
Ausstellung: 12.12.2015 – 03.01.2016 – Do-So 15-19 Uhr
(english version below)
FEST
Wir tragen längst anständige Kleidung. Wir wohnen in guten Wohnungen. Wir hörten auf zu rauchen und zu saufen. Wir lernten zwei Küsschen zu geben und Smalltalks zu führen. Wir distanzierten uns von der Politik, um die potenzielle Käufer nicht zu erschrecken. Wir betrachteten gleichgültig, wie vor unseren Augen die Kunstkritik starb. Wir hörten auf über die Kunst zu streiten. Wir haben Verständnis für den Begriff „marktorientiert“: dieses Kunstmagazin ist marktorientiert – und diese Institution und dieser Kurator. Natürlich, wir verstehen alles, alle müssen irgendwie überleben, besser so was, als gar nichts. Wir sammeln likes auf Facebook und sagen gerne „genial“ zu uns befreundeten Künstlern. Sie sind doch auch marktorientiert. Wir schämen uns nicht die Fotos von unseren Vernissagen zu zeigen: hier ist ein Fußballspieler in Begleitung vor unserer Arbeit. Und da zeigt sich ein berühmter Politiker vor unserer Arbeit. Es ist egal, dass wir ihn verachten. Es ist doch einfach ein Erfolg. Wir sind auch marktorientiert. Wir sind normale, gewöhnliche Leute.
Aber wenn etwas passiert, wenn wir selbst plötzlich ins Unglück geraten und wir zum Beispiel einen kleinen Kredit von der Bank beantragen, werden wir sofort erkannt. Wir werden entkleidet. Sie finden ein Brandmal, das wir unter dem Hemd versteckt hatten. „Nein, nein, nein. Ihr bekommt keinen Kredit. Ihr seid Künstler, ihr habt kein festes Einkommen“.
Im Projekt „Fest“ vom Konzeptkünstler Sergey Voronzov und der Autorin Juliana Bardolim geht es um Entkleidung und Rehabilitation; um den Versuch, etwas zu beweisen. Konfrontiert mit einem lebenswichtigen Problem und lauter Absagen in Form von: „Ihr seid Künstler, ihr habt kein festes Einkommen“, schlagen uns die beiden Künstler vor zu überlegen: Was ist eigentlich „fest“, wenn nicht die Kunst?
Die Herleitung des Titels ist einfach. Da ist zum einen das Fest, das die Künstler in den vergangenen Jahren dem Publikum schenkten: sei es in der Teilnahme an wichtigen Ausstellungprojekten mit feinen, scharfsinnigen Arbeiten, oder mit musikalischen Performances (Voronzov ist auch ein leidenschaftlicher Musiker) oder mit den Texten, die Bardolim seit Jahren online veröffentlicht.
Dann ist da dieses verdammte „feste Einkommen“, dessen Fehlen das Leben dieser Familie zerstören kann. Dann ist es da auch die „Festung“, im Sinne von „Haus“. Weil sie nämlich um die Rettung ihres Hauses kämpfen müssen.
Das Projekt „Fest“ ist eine totale Installation der festen Kunst, die aus Materialen gebaut ist, die für den Bau eines Hauses notwendig sind: Beton, Stahl und Holz. In dem für die Beiden typischem ironischen Stil, bedecken die Künstler die Wände mit superfesten Objekten und die Grundfläche des Ausstellungsaums mit einer festen, bodenständigen Arbeit aus bemaltem Holz. Sollte jemand den Wunsch verspüren, während der Ausstellungen etwas zu kaufen, werden die Arbeiten direkt aus dem „Boden“ ausgesägt. Die Kunst wird als Meterware verkauft. Wie auf dem Markt.
(Juliana Bardolim)
SERGEJ VORONZOV
1960 in Moskau geboren, 1992- Stipendium des Künstlerhauses BETHANIEN, 1994- Arbeitsstipendium vom Kultursenat Berlin, 1995- Projektförderung vom Kultursenat Berlin, 2000- Stipendium der „Zitadelle Spandau“ und VW Stiftung, Berlin , 2008- Nominierung auf „Kandinsky-Preis“, 2009- Preis „Europäische Ateliers“. Teilnahme an mehreren anerkannten internationalen Projekten und Ausstellungen in Museen, wie ICKUNSTBO I, II, III, (Berlin – Stockholm), UdSSR Heute“, Museum Ludwig, Stedelijk Museum (Amsterdam), Kunst Europa (Kunstverein Ganderkesee), „Born in UdSSR“, Auswärtiges Amt (Berlin), Preis und Ausstellung „Europäische Ateliers“ (Brüssel – Moskau), 1, 2, 3, 5 Moskauer Biennale und vieles mehr. Die Werke befinden sich in mehreren Museen der Welt und in Privatsammlungen.
JULIANA BARDOLIM
1979 in Potsdam geboren, 2003 absolvierte erfolgreich das Studium (Szenisches Schreiben) an der Universität der Künste zu Berlin, war in diversen Theateraufführungen als Theaterstückeschreiberin beteiligt. Seit 2011 ist als freie Autorin und Kunstkritikerin für die mehrere Kunst – und Kulturmagazins tätig, wo sie die Positionen der gegenwärtigen Kunst in der Gesellschaft betrachte und analysiere. In dieser Zeit hat sie eine Reihe Artikel über politische Kunst und Aktionismus geschrieben, sich mit Fragen der Wechselwirkung von Kultur und Gesellschaft beschäftigt und eine Reihe Interviews über diese Themen mit anerkannten Kunstmachern wie Juan A. Gaitan, Arthur Zmiejvsky, Ellen Blumenstein, Christoph Tannert, Hanna Magauer, Occupy usw. geführt.
FEST
We learned to wear decent clothes. We moved into nice apartments. We stopped smoking and plunk. We learned to kiss on both cheeks and keep a useless conversation. We have distanced ourselves from politics in order not to scare off potential buyers. We calmly watched as art criticism was dying. We stopped talking about art, thinking instead about the market. We understand the word „market-oriented“: the art magazines are market-oriented, this and that museum, and the curators are market-oriented, too.
Of course, we all agree that everybody needs to survive. We collect „likes“ on Facebook and willingly say „genius“ to our artists friends. Well, they are market-oriented. We will not hesitate to post out photos to the Internet: here is a very well known football player with a companion on the background of our work. Here is the famous politician in the background of our work. No matter what we despise, it’s a success. We are also market-oriented. We are normal, ordinary people.
But as soon as we need anything, once we get into trouble, and we need a small loan from a bank, we recognize that we are actually not. Immediately we become exposed. We are branded! There is a stigma under our shirts: „No, no, no, you do not get the loan! You’re an artist! You have no permanent income.“
In their project, conceptual artist Sergey Voronzov and author Juliana Bardolim are talking about disclosure and rehabilitation. About attempts to prove your normality. Being faced with the life-threatening problems, being rejected from the social status of normality ( „You’re an artist! You do not have a steady income.“) artists offer to us their reflection on the question of what is „permanent“ („fest“)? Is the art permanent?
The etymology of the word „Fest“ is understandable. This Fest (festival) is what these artists organized for years, being participants in large projects with subtle, witty work, whether musical performance (Voronzov his whole life was involved in various art-bands) or funny stories that Bardolim have been publishing online for many years.
It is the damn festes Einkommen (fixed income), the lack of which can ruin the life of this family.
It is a Festung (Fortress House), the concept of „home“. Because it is to preserve their house for themselves and their children, they are being forced to fight.
Fest project is a total installation, feste Kunst (lasting art), made of materials that are used in the construction of the house: concrete, iron, wood. In an ironic manner that is typical for the artists, they have covered the walls with concrete, monumental, super festen objects and floor bodenständige Arbeit (a play of words, meaning something like „to stand on its own two feet“), from which, on request, they will saw pieces and sell the parts of their illusory home by the meter. As it is on the market.
(Juliana Bardolim)